Neben ihrem Künstlerdasein haben Goethe, Tina Turner, Marlon Brando und Picasso noch eine markante Gemeinsamkeit: Ihnen wird – vermutlich mit einem wohlwollenden Schmunzeln – Alterssex zugebilligt. Um danach zu konstatieren: Ausnahmen bestätigen die Regel, die da heißt, dass Sex im Alter für viele nicht vorstellbar ist.
Die Lust auf Liebe wird ähnlich interpretiert wie die Sehschärfe im Alter: Sie lässt eben nach. Dabei zeigte der „Starr-Weiner-Report“ schon in den 80er Jahren, dass die Vorurteile über körperliche Nähe im Alter nicht stimmen. Die umfangreiche Befragung von älteren Paaren ergab, dass rund ein Fünftel aller Paare über 60 Jahre mindestens einmal pro Woche miteinander schlafen.
Andreas Dresens Drama „Wolke9“ (2008) hat ein Tabu gebrochen, Liebe und Lust im Alter sind wieder zum Thema geworden. Die Erkenntnis, dass sich Wünsche und Neigungen bei Liebe und Sexualität im Laufe des Lebens entwickeln und nicht plötzlich mit 65 Jahren verschwinden, ist nicht neu. Mit Anfang 70 schlafen noch 35% der Paare miteinander. Auch wenn hormonelle Veränderungen wie verminderte Testosteronproduktion und Medikamente wie Betablocker gegen Bluthochdruck nachgewiesenermaßen das sexuelle Verlangen mindern, bleiben erotische Fantasien und Träume weitgehend unverändert. Auch die Praktiken passen sich an. Das Teilen von Fantasien, ausgedehnte körperliche Nähe und andere Möglichkeiten, den Partner oder sich selbst zu befriedigen, erweitern das Lust-Repertoire und lassen den Angaben aus umfangreichen Studien zufolge die Sexualität im Alter sogar noch besser werden.
Interessant ist, dass der Hauptgrund für geringere und unbefriedigende sexuelle Aktivitäten im Alter nicht etwa körperliche Probleme sind, sondern psychische: Versagensangst und damit verbundener Rückzug führen oft zu geringem sexuellen Interesse und können sogar langfristige körperliche Störungen verursachen. Die Sorge, nicht mehr zu können, es nicht mehr wie früher zu bringen lässt viele zunächst an sich und dann am Sex zweifeln. Medikamentös kann hier oft nicht sinnvoll eingegriffen werden, das Mittel der Wahl stellt vielmehr eine kurzfristig angelegte Paarberatung dar. Der erste Schritt auf dem Weg zurück zu erfüllender partnerschaftlicher Zärtlichkeit sind oft Denkanstöße, gegenseitige Offenheit und gemeinsame geleitete Gespräche.
Es ist enorm wichtig, auch im Alter Sexualität nicht nur als Indikator für eine gute Beziehung anzusehen, sondern vor allem auch als eine Grundlage für eine erfüllte Beziehung zu betrachten. Viele Paare gehen im Alter offener mit der gemeinsamen Lust um und finden neue Wege der Erfüllung.
Primärquelle: Stüfel, H. (2009): Beim Sex haben wir die Evolution überholt
Sekundärquelle: Welt- Online Wissen (2009). Beim Sex haben wir die Evolution überholt. Empfangen am 20.02.2009
http://www.welt.de/wissenschaft/psychologie/article3120689/Beim-Sex-haben-wir-die-Evolution-ueberholt.html