Innerhalb von Millisekunden erkennen Sie die Gefahr.
Sie wollen vom Bürgersteig über die Straße auf die andere Seite. Dafür müssen Sie zunächst über den Radweg. Sie unterhalten sich angeregt mit Ihrer Begleiterin und blicken dabei in ihr Gesicht. Obwohl Sie den Radweg kurz vorher auf Radfahrer gecheckt haben, schrecken Sie plötzlich zurück. Keine Sekunde später bemerken Sie den erschrockenen Gesichtsausdruck Ihrer Begleiterin und im gleichen Moment fährt etwas ganz nahe an Ihnen vorbei (und beschimpft Sie vermutlich). Wo kam der her? Gut reagiert.
Wir bemerken Anzeichen von Gefahr im Gesicht unseres Gegenübers, bevor uns diese bewusst werden - und zwar in weniger als 40 Millisekunden. Diese Schnelligkeit der Verarbeitung von negativer Mimik und Gestik verschafft uns vermutlich einen evolutionären Vorteil: Auf Bedrohungen kann sofort und "intuitiv", also ohne Einschalten des Bewusstseins reagiert werden. Die Amygdala, eine Hirnregion, die auf das Erkennen negativer Emotionen spezialisiert ist, leitet Sinneswahrnehmungen quasi gleichzeitig an unsere Beine und die bewusstseinszugänglichen Gehirnregionen des Kortex weiter, die erst dann anschließend eine (vergleichsweise langwierige) Bewertung der Gefahrensituation vornehmen.
Man kann auch sagen: Wir sind quasi evolutionär darauf programmiert, primär negative Emotionen erkennen und schnell verarbeiten zu wollen, weil sie überlebensrelevant sein könnten. Angst wird deutlich schneller verarbeitet als Freude, Zorn wird schneller in Handlungen umgesetzt als Zuneigung. In gleicher Weise ist auch unsere Aufmerksamkeit darauf genetisch programmiert, Zeichen für Unmut, Trauer, Gefahr und schlechte Stimmung aus der Umwelt herauszuschälen. Menschen nutzen das unbewußt teilweise sogar gezielt aus, indem sie sich durch Jammern oder Lärm die Aufmerksamkeit anderer sichern. Und, negative Gefühle sind ansteckend: In einer gespannten Atmosphäre ist man "unwillkürlich" auch angespannter. Jemand, der ständig jammert, "zieht uns runter", obwohl wir vielleicht in guter Stimmung waren. Wenn wir es zulassen.
i.A. Dr. Stephan Lermer
Quelle: Yang, E. (2008). Fearful expressions gain preferential access to awareness during continous flash suppression. Emotion, 7 (4), pp. 682-686