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Montag, 8. Juni 2009

Wenn Verbote und Richtlinien nach hinten losgehen - Die Macht negativen sozialen Einflusses

Eine alarmierende Nachricht auf Ihrem Schreibtisch: Die Präsenz der Mitarbeiter bei Meetings ist in den letzten Wochen zurückgegangen. Im Schnitt fehlten 7% der Mitarbeiter bei wichtigen Meetings - aus nichtigen Gründen! Innerlich kochen Sie.

Sie beschließen, den Mitarbeitern sachlich anzukündigen, dass viele Kollegen in der letzten Zeit ihre Teilnahme an Meetings absagten und dass der Zustand so nicht tragbar sei.
Was passiert nun in der Folge?

Mehr Mitarbeiter werden fernbleiben!


Das Phänomen heißt 'Negative Soziale Bewährtheit' und beschreibt das Verhalten von Menschen, sich in Entscheidungssituationen (zum Meeting gehen oder nicht) an den Ansichten und dem Verhalten anderer Menschen zu orientieren. Würden Sie also publik machen, dass viele Kollegen den Meetings fernbleiben, werden mehr folgen, weil sie sich unbewusst an Ihrer Aussage orientieren: 'Na, wenn so viele wegbleiben, kann ich mir das auch einmal leisten - nur einmal.'


So kontraintuitiv das Phänomen scheint - es ist universell und gut belegt. Beispielsweise entstehen wie von selbst Müllberge in Parks, wenn zufällig jemand Müll an einer Stelle zurück gelassen hat. Schema: 'Aha, da liegt schon etwas - da kann ich meins dazuwerfen.' Und schon türmen sich die Bananenschalen.


In der 'Petrified Forest Studie' zeigte Prof. Robert Cialdini, wie man es richtig machen kann - und wie man es falsch macht: Er brachte an den drei Eingängen des Nationalparks verschiedene Schilder an, die zum Ziel haben sollten, die durch die Touristen verursachte 'Abwanderung' von Hölzern zu verringern.
Auf Schild 1 stand: "Many past visitors have removed the petrified wood from the park, changing the natural state of the forest!" - das Negative-Soziale-Bewährtheit-Schild. Schild 2 zeigte eine Person, die Holz stiehlt mit einem roten Kreis um das Bild und der Aufschrift "Please don´t remove the petrified wood from the park, in order to preserve the natural state of the forest!" - eine ganz einfache Bitte. Am dritten Eingang wurde kein Schild aufgestellt. Um den Holzdiebstahl zu überprüfen, brachten die Untersucher markierte Hölzer an verschiedenen Stücken des Wegs an.

Das Ergebnis: Ohne Hinweisschild wurden 2,92% der Hölzer gestohlen. Mit der Bitte, dies zu unterlassen, sank die Quote immerhin auf 1,67%. Und beim Hinweis darauf, dass die Vielzahl von Holzdieben den natürlichen Zustand des Parks verunstalte? - Satte 7,92% der ausgelegten Hölzer wurden entwendet - die Quote stieg also beinahe um das 3fache an!

Was sollte man also tun? Formulieren Sie Bitten und Verbote klar und positiv. Und weisen Sie auf keinen Fall auf all diejenigen hin, die das unerwünschte Verhalten vorleben - sie werden Nachahmer finden. Und leere Räume.




gepostet i.A. von Dr. Stephan Lermer


Quelle: Cialdini, R. et al. (2006). Managing social norms for persuasive impact. Social Influence, 2006, 1 (1), 3-15

Donnerstag, 14. Mai 2009

Gehorsam! - eine aufrüttelnde Replikation des "Milgram-Experiments"

Eine neue Studie zeigt wieder einmal die (Ohn-)Macht blinden Gehorsams.

Würden Sie jemanden bis zum Tode quälen, nur weil es ihnen ein anderer befiehlt? NATÜRLICH NICHT! Oder?


Dass Autorität oft blinden Gehorsam auslöst, ist eine hässliche, uralte Wahrheit. Besonders schockierend wurde diese Wahrheit bereits in den 60er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts von dem Psychologen Stanley Milgram belegt. Er setzte sich mit der Frage auseinander, weshalb so viele Menschen im nationalsozialistischen Deutschland des zweiten Weltkriegs zu solch grausamen Taten fähig waren.


Dazu designte er ein Experiment, das er ursprünglich in Deutschland durchführen wollte, um seine Hypothese zu bestätigen, die Nazis seien im besonderen Maße zu Grausamkeiten fähig. Doch zunächst führte er eine Vorstudie in den USA durch. Die Ergebnisse dieser Vorstudie waren auch für ihn so schockierend, dass er sich die Reise nach Deutschland sparte.

Warum? In einer Ausschreibung zur Vorstudie deklarierte er das Experiment als "Lernspiel". Freiwillige Versuchspersonen mussten dabei vermeintlichen Schülern (in Wahrheit Schauspielern) Fragen stellen und sie nach jeder falschen Antwort mittels sukzessive stärker werdenden Elektroschocks bestrafen. Der anwesende Versuchsleiter beharrte auf der ordnungsgemäßen Durchführung des Lernspiels.


Und obwohl der Versuchsleiter keinerlei körperlichen Zwang anwandte und ein Abbruch des Experimentes für die Probanden keine nachteiligen Folgen gehabt hätte, gingen 65% der Versuchspersonen bis zur Verabreichung von tödlichen Stromschlägen (bis zu 450V). Fast niemand hörte bei der gesundheitsgefährdenden Grenze von 150V auf. Jedem war bewusst, dass er zu jedem Zeitpunkt die Chance hatte, das Experiment abzubrechen. Die Teilnehmer zeigten dabei Anzeichen extremer innerer Anspannung.


Obwohl Milgram - vermutlich wegen der offensichtlichen Eindeutigkeit und der generellen Gültigkeit der Ergebnisse - selbst keine Studie in Deutschland durchgeführt hat, wurde das Experiment später am Max-Planck-Institut in München repliziert. Über die deutsche Studie existiert ein Dokumentarfilm: "Abraham - ein Versuch" (Regie: Hans Lechleitner)

Ist das heute wiederholbar? NATÜRLICH NICHT! Oder?

Jerry M. Burger von der Santa Clara University hat nun das Experiment, unter Berücksichtigung einiger ethischer Gesichtspunkte, wiederholt. Seine Versuchspersonen befanden sich während der Studie unter psychologischer Betreuung und die Höchstgrenze der (gespielten) Schockintensität wurde von 450V auf 150V herabgesetzt.
Das Ergebnis ist genauso erschreckend wie vor 40 Jahren: Burgers Studie zeigt, dass auch heute die Menschen blinden Gehorsam im Beisein von Autoritäten leisten: 70% der Versuchspersonen überschritten die 150V-Grenze. Auch in seinem Experiment gaben die Teilnehmer an, dass sie die Situation schrecklich und extrem belastend empfanden. Aber sie teilten aus.

Nützt es also nichts, den Menschen durch Bildung, Erziehung und Aufklärung zu vermitteln, ihren eigenen Verstand zu benutzen und die Menschenrechte zu wahren? Sind grausame Taten und blinder Gehorsam letztlich sogar ein Erbe unserer Evolution und damit genetisch in uns verankert?
Ja, sagt die ernüchterte Forschungsgemeinde.

Und betont aber auch: In allen Zeiten und allen derartigen Experimenten gab es Menschen, die es geschafft haben. Die ihren gesunden Menschenverstand benutzt haben und die Studie aus freiem Willen und trotz der anwesenden Autoritäten abbrachen.


Offensichtlich ist die Neigung, Autoritäten Gehorsam zu leisten, individuell unterschiedlich stark ausgeprägt. Und offensichtlich sind wir nicht nur unseren Genen ausgeliefert und zum Gehorsam verdammt. Sondern zu eigenen Entscheidungen fähig, die auf moralisch-ethischen Überlegungen beruhen.
Bewusst eigene Entscheidungen zu treffen, die das Wohl anderer genauso wie das eigene Wohl berücksichtigen, fordert allerdings einen lebenslangen Lernprozess.




gepostet i.A. von Dr.Stephan Lermer

Quelle: Burger, J.M. (2009). Replicating Milgram. Would People Still Obey Today? www.apa.org/journals/releases/amp641-1.pdf