Dienstag, 4. Januar 2011
Gehirnoptimierung - Segen oder Fluch?
Einer Umfrage der DAK zufolge haben fünf Prozent aller Berufstätigen schon mindestens einmal Aufputschmittel zur Steigerung der Leistungsfähigkeit genommen - ohne medizinische Indikation. Zwei Prozent der Befragten gaben an, sich regelmäßig vor wichtigen Terminen zu 'dopen'. Dabei stellten die Untersucher auch einen klaren Geschlechterunterschied fest: Während Männer vorwiegend 'Wachmacher' zur vorübergehenden Leistungssteigerung einnahmen, griffen Frauen häufiger zu Sedativa, wie zum Beispiel Schlafmitteln.
Schwierig ist es, eine Grenze zu ziehen, ab welchem Präparat die künstliche Leistungssteigerung nicht mehr 'angemessen' oder 'normal' ist. Denn exzessiver Konsum von Koffein oder Nikotin kann durchaus dieselben aufmerksamkeitssteigernden Effekte haben wie Ritalin oder Amphetamine. Experten sprechen deshalb davon, dass es 'derzeit keine überzeugenden grundsätzlichen Einwände gegen eine pharmazeutische Verbesserung des Gehirns oder der Psyche gibt'.
Die beliebtesten Präparate:
- Methylphenidat: Steigert kurzfristig die Aufmerksamkeit. Besser bekannt unter dem Handelsnamen 'Ritalin' wird der Stoff bei der Behandlung der Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS) und vereinzelt unterstützend bei Depressionen eingesetzt. Hochdosiert hat es eine euphorisierende Wirkung.
- Antidementiva: Ursprünglich zur Verbesserung von Gedächtnis und Aufmerksamkeit bei Demenzkranken entwickelt, haben Tests gezeigt, dass diese Medikamente auch bei Gesunden die Hirnleistung über eine gewisse Zeit verbessern.
- Amphetamine: Speed und Ecstasy sind die illegalen Varianten dieser euphorisierenden Gruppe von Medikamenten. Die Präparate haben oft erhebliche Nebenwirkungen.
- Modafinil: Hilft gegen das Schichtarbeiter-Syndrom, aber auch gegen Jetlag. Und macht sofort 'fit'.
Im Moment ungeklärt sind allerdings die Langzeitwirkungen chronischer oder sporadischer Einnahme von Neuro-Enhancern. Vielleicht sollte man deshalb noch ein wenig Vorsicht walten lassen, bevor man zum Medikamentenschrank greift. Und erst einmal die Ergebnisse der Langzeitstudien aus den USA abwarten - dort ist der Konsum leistungssteigernder Präparate seit längerem sehr viel weiter verbreitet als hierzulande.
Weiter ungeklärt ist auch das Suchtpotential der Medikamente. Die Weitergabe der Präparate an Kinder und Jugendliche ohne medizinischen Rat ist deshalb höchst gefährlich und kann geahndet werden.
Für die große Mehrheit der Menschen, die ihre geistige Leistungsfähigkeit steigern, aber auf Medikamente verzichten wollen, bieten sich natürlich die klassischen Methoden an: Autogenes Training, Denksport, Meditation, Bewegung und Coaching können dieselben Wirkungen haben. Allerdings ohne die gefürchteten Nebenwirkungen und vor allem langfristig leistungssteigernd. Und kurzfristig kann man ruhig einmal zu Kaffee oder Schokolade greifen.
gepostet i.A. von Dr. Stephan Lermer
Quelle: Gehirn und Geist, 3.1.2011
Dienstag, 23. November 2010
Gute Freunde...
Fenna Krienen und ihre Kollegen untersuchten fast 100 Versuchsteilnehmer mit Hilfe von funktioneller Magnetresonanztomografie. Die Teilnehmer sollten dabei in einem Spiel Vorhersagen über das Verhalten von zwei Personen machen: Einem real existierenden Freund und einem imaginären Fremden, der wichtige persönliche Merkmale mit dem Teilnehmer teilte. Das Hauptaugenmerk der Forscher lag dabei auf einer bestimmten Hirnregion, dem medialen präfrontalen Kortex, der für persönlich relevante Informationen zuständig ist.
Ursprünglich vermuteten die Forscher, dass der mediale präfrontale Kortex der Versuchsteilnehmer immer dann besonders aktiv werden sollte, wenn die Person im Spiel dem Teilnehmer ähnlich sei. Es zeigte sich allerdings, dass die Hirnregion dann aktiver war, wenn ein real existierender Freund mitspielte - unabhängig davon, ob der Freund dem Versuchsteilnehmer ähnlich oder unähnlich war.
Laut Krienen ist die emotionale Nähe zu Personen entscheidend dafür, wie aktiv das Hirnzentrum für persönlich relevante Informationen ist. Können wir also bald mit Hirnscans herausfinden, wer mit wem wirklich befreundet ist?
gepostet i.A. von Dr. Stephan Lermer
Quelle: dapd
Mittwoch, 14. Juli 2010
Woraus besteht eigentlich der "Heimvorteil"?
Was ist eigentlich der berühmte "Heimvorteil"? Warum sind wir auf eigenem Terrain - auf dem heimischen Platz, im eigenen Büro, im eigenen Haushalt - besser als auswärts?
Forscher der Universität von Wisconsin drangen nun tief in die Geheimnisse des Heimvorteils ein. Sie brachten männliche Mäuse dazu, einer ihrer Lieblingsbeschäftigungen nachzugehen: Kämpfe mit anderen Mausmännchen. Dabei zeigte sich, dass die Wahrscheinlichkeit zu gewinnen umso größer wurde, je mehr die Mäuse auf ihrem eigenen Terrain siegten.
Die Forscher stellten fest, dass sich in Folge der Siege die Gehirne der Mäuse veränderten: Der Erfolg an sich veränderte Anzahl und Dichte von Rezeptoren für Androgene - Sexualhormone, die Aggressivität und Konzentration erhöhen- in einer bestimmten Hirnregion, der Stria Terminalis.
Siegten die Mäuse auf heimischem Boden, kam allerdings noch ein interessanter Effekt hinzu: Die Rezeptorenveränderung wurde in mehreren Hirnregionen beobachtet. Vor allem in Zentren, die für Belohnung und Motivation zuständig sind. Heimsiege wirken sich daher vermutlich direkt und positiv motivierend auf den Erfolg bei nachfolgenden Spielen, Revierkämpfen, Verhandlungen und Ähnlichem aus.
Bei Fußballspielern zeigte sich übrigens ein ähnlicher Befund: Speichelproben ergaben, dass ein erhöhter Testosteronspiegel, wie er vor allem während Heimspielen auftritt, den Erfolg vorhersagt. Die Forscher nehmen an, dass der Anstieg des Testosterons vor allem Folge der Fangesänge auf den Rängen ist. Der berühmte "12. Mann" - ein Hormon?
gepostet i.A. von Dr. Stephan Lermer
Quelle: Fuxjager, M. (2010). PNAS, Online Vorabveröffentlichung, doi: 10.1073/pnas.1001394107
Montag, 27. Juli 2009
Warum kurzfristiger Stress positiv ist
Forscher der University of Buffalo haben jetzt herausgefunden, auf welchem Wege akuter Stress bei Nagetieren die Lern- und Gedächtnisleistung verbessert. Neurophysiologisch vermittelt werden die positiven Effekte von kleinen stressauslösenden Ereignissen über das Stresshormon Corticosteron - beim Menschen Cortisol.
Zusätzlich zeigte die Studie, dass akuter Stress die Übertragung des Neurotransmitters Glutamat steigert und somit das Arbeitsgedächtnis verbessert!
Stress habe beides, einen schützenden und einen schädlichen Effekt auf den Körper, so die Physiologin und Biophysikerin Zhen Yan, Mitautorin der Studie.
Für die Studie trainierten die Forscher Ratten so lange in einem Labyrinth, bis diese den Irrgarten in den meisten Durchgängen erfolgreich durchqueren konnten. Danach wurden die Nagetiere in zwei Gruppen aufgeteilt. Die eine Gruppe musste nun vor einem erneuten Marsch durch das Labyrinth 20 Minuten schwimmen, was die kleinen Tierchen gewöhnlich als stressig empfinden.
Die Ergebnisse zeigten: Die gestressten Ratten in der "Schwimm-Bedingung" machten deutlich weniger Fehler beim Durchqueren des Labyrinths, und dies sogar noch Stunden nach dem Stessereignis!
Es zeigte sich auch, dass der kurzfristige Stress bei den Tieren nicht zu Depressionen oder anderen Angstreaktionen führte.
"Zusätzlich haben wir herausgefunden," so Yan, "dass chronischer Stress die Übertragung von Glutamat bei männlichen Ratten unterdrückt - was im genauen Gegensatz zur positiven Wirkung von akutem Stress steht. Nebenbei bemerkten wir auch, dass die weiblichen Ratten dank ihrer Östrogen-Rezeptoren bei chronischem Stress belastbarer waren."
Für kleine Nager wie für Menschen gilt also: Dauerstress vermeiden, denn er belastet die Gesundheit!
Aber: Ärgern Sie sich nicht mehr über vereinzelte stressige Tage, denn diese sind sogar förderlich für Ihre Leistung!
gepostet i.A. von Dr. Stephan Lermer
Quelle: www.buffalo.edu/news/10272
Mittwoch, 22. Juli 2009
Psychologische Begriffe: "Spiegelneuronen"
Ungleich jeder anderen Art auf diesem Planeten können wir sprechen, Werkzeuge herstellen, abstrakte Ideen zeichnen und formulieren und vor allem: Scheinbar die Gedanken anderer Menschen und Tiere lesen. Und so deren Verhalten vorhersagen.
"Theory of Mind" - "Mentalisierung" nennen Psychologen unsere Fähigkeit, die Gedanken anderer zu erraten, indem wir deren Verhalten beobachten. Ein Beispiel: Susi greift in eine leere Keksdose. Was denkt Susi wohl? Wir nehmen an, dass Susi ein Keks essen will. Und wir nehmen an, dass Susi glaubt, Kekse in der Dose zu finden. Das ist die eigentliche "Theory of Mind"-Leistung: Zu erkennen, was Susi denkt. Nur Primaten und einige Vogelarten sind überhaupt dazu fähig.
Der Mensch wiederum ist das einzige Lebewesen, das seine Annahmen über die Gedanken anderer auch noch an Dritte kommunizieren kann.
Eine der interessantesten Fragen in diesem Zusammenhang ist: Wie funktioniert das 'Gedankenlesen' eigentlich? Und in diesem Zusammenhang: Warum können wir nicht nur Absichten erraten, sondern auch mitfühlen, mitleiden und andere imitieren?
Wie bei vielen großen Entdeckungen, brachte ein Zufall die Hirnforschung auf die Spuren der Theory of Mind: Anfang der 90er Jahre gaben italienische Forscher einem Affen eine Erdnuss. Daraufhin begannen Nervenzellen im Gehirn des Affen zu "feuern", die für Bewegung zuständig waren, obwohl der Affe nicht einmal einen Finger gerührt hatte. Die Forscher waren fasziniert und wiederholten das 'Experiment'.
Und es wurde noch besser: Sie bemerkten, dass dieselben für zielgerichtete Bewegungen zuständigen Nervenzellen aktiv wurden, wenn der Affe eine Erdnuss an andere verteilte, als auch dann, wenn er selbst die Bewegung nur beobachtete! Diese Nervenzellen nannten die Forscher "Spiegelneurone".
Im menschlichen Gehirn findet man sie in vielen Regionen, besonders aber in den für bewusste Bewegungen und Handlungsplanung zuständigen Gebieten ('Prämototischer Kortex' und 'inferiorer parietaler Kortex').
Dass der Affe sich nicht bewegte, obwohl bewegungsrelevante Neuronen aktiv waren, lag an einem vergleichsweise simplen 'Hemmmechanismus' im Gehirn. Er wird automatisch aktiv, wenn wir eine Bewegung nur sehen und nicht ausführen wollen. Dass dieser Mechanismus nicht immer vollständig funktioniert, können Sie selbst in einem kleinen Experiment testen: Geben Sie einer befreundeten Person in einer Gruppe von Menschen ein Glas mit 'Wasser', in das Sie den Saft einer ganzen Zitrone gepresst haben. Teilen Sie das den anderen Personen vorher mit und Sie werden beobachten, dass sich ihre Gesichter verziehen, sobald Ihr 'Opfer' das Glas an den Mund setzt - ganz so, als würden sie die Zitrone selbst schmecken.
Das Ergebnis der Beobachtung mag zunächst nicht sehr spannend klingen, aber die theoretischen und praktischen Auswirkungen waren gewaltig: Endlich hatte man eine physiologische Erklärung dafür gefunden, wie das Lernen komplexer Abläufe funktioniert: Sprache, Sport oder bestimmte Rituale müssen wir uns zunächst von anderen abschauen oder hören, bevor wir eine Vorstellung davon entwickeln und bevor wir sie selbst ausführen können. Die Grundlage für all das liefern uns die Spiegelneurone.
In diesem kleinen Video (Anklicken führt Sie zu Youtube) erfahren Sie weitere Interessante Informationen über Spiegelneurone:

Wie wichtig diese Nervenzellen für uns sind, zeigt sich dann, wenn wir psychische Krankheiten betrachten, bei denen ihre Funktion eingeschränkt ist:
Autisten fehlt oft Empathie, Mitgefühl und die Fähigkeit, andere imitieren zu können. Wir sagen: sie leben in ihrer 'eigenen Welt'. Vieles spricht dafür, dass die Signalübertragung ihrer Spiegelneuronen nicht adäquat gesteuert wird.
Bei Schizophrenie, Alzheimer und anderen gravierenden organisch bedingten Krankheiten des Gehirns beobachtet man oft, dass die Betroffenen im Gespräch Gestik und Mimik ihrer Gesprächspartner fast zwangsweise imitieren. Die Patienten können auch nicht anders, denn bei ihnen ist der Hemmmechanismus außer Kraft gesetzt, der bei gesunden Menschen bewirkt, dass die Aktivität der Spiegelneuronen unterdrückt wird.
Von medizinischer und psychologischer Seite wird deshalb viel Engagement in die Forschung mit Spiegelneuronen gesetzt. Anthropologen und Sprachwissenschaftler versuchen aus neuen Erkenntnissen über diese gehemnisvollen Nervenzellen zu entschlüsseln: Wie die menschliche Evolution abgelaufen ist, wie Lernen und Imitation funktioniert - und was uns Menschen so besonders macht.
gepostet i.A. von Dr. Stephan Lermer
Quelle: Rizzolatti, G. (2006). Mirrors in the mind. Scientific American, 295 (5), pp. 30-37
Dienstag, 21. Juli 2009
Kommt es auf die Größe an?
Hierauf versucht der Hirnforscher Eduardo Mercado der University of Buffalo eine Antwort zu finden. In seinem kürzlich erschienenen Artikel in der Zeitschrift Current Directions in Psychological Science, beschreibt er, dass bestimmte Aspekte der Gehirnstruktur und der Gehirnfunktion bestimmen, wie leicht wir neue Dinge lernen und wie die Lernkapazität zu individuellen Unterschieden in der Intelligenz führt.
Studien, die verschiedene Spezies untersuchten, haben gezeigt, dass ein größerer Kortex (Großhirnrinde) im Durchschnitt eine größere intellektuelle Kapazität voraussagt.
Die Herkunft dieser Korrelation ist unklar, aber Mercado glaubt, dass ein "größerer Kortex mehr Platz zur Verfügung stellt, innerhalb dessen dann eine größere Quantität und Vielfalt der Verteilung kortikaler Module möglich ist." Mit anderen Worten: Für das intellektuelle Potenzial ist weder die absolute noch die relative Größe des Kortexes verantwortlich, sondern die Anzahl der verfügbaren kortikalen Module. Diese Merkmale kortikaler Organisation und Funktion bestimmen, wie effektiv unser Gehirn Ereignisse unterscheidet.
Diese Fähigkeit, Ereignisse zu differenzieren ist möglicherweise das, was uns befähigt kognitive Fähigkeiten zu erlernen.
Eine wichtige Implikation der erforschten Idee: Erfahrung kann genauso wichtig sein wie genetische Faktoren im Bezug auf die intellektuelle Kapazität. Insbesondere strukturelle Veränderungen kortikaler Module durch Entwicklung und Lernen können zu individuellen Unterschieden in der Intelligenz führen. Indem sich die Netzwerke der Neuronen über die Zeit entwickeln, erhöht sich auch ihre Vielfalt, was in einem nächsten Schritt einen Anstieg der kognitiven Plastizität zeitigt.
Diese Ergebnisse sind zum einen wichtig für die Effizienz von Lerntechniken. Und sie können zum anderen zu potenziellen, neuen Methoden in der Rehabilitation von Patienten mit Gehirnschäden beitragen. Zusätzlich kann das Verständnis der Funktion kortikaler Module helfen, intelligenzfördernde Verfahren zu entwickeln. Jedoch warnt Mercado: "Neue Technologien, um die kognitive Plastizität zu erhöhen, haben ethnische Implikationen, die weit über die des Doping im Sport hinaus gehen." Er folgert: "Der Satz 'changing your mind' würde schnell eine ganz neue Bedeutung erhalten."
Zusammengefasst kann man also sagen: Es kommt nicht auf die Größe, sondern auf die Organisation an!
gepostet i.A. von Dr. Stephan Lermer
Quelle: Mercado III, E. (2009): Cognitive Plasticity and Cortical Modules. Current Directions in Psychological Science, 18/3: pp. 153-158
Dienstag, 26. Mai 2009
Gesellige Menschen haben ein besser organisiertes Belohnungssystem
Vor allem nicht so deutlich. Dr. Graham Murray von der renommierten University of Cambridge forscht über ernste psychische Erkrankungen. Er wollte nachweisen, dass Schizophrenie-Patienten und Autisten, die erhebliche Probleme bei sozialer Interaktion haben, in bestimmten Hirnregionen, die für Belohnung und das Empfinden von Glück mitverantwortlich sind, weniger Nervenzellen (Neuronen) haben als gesunde Menschen.
Dazu legte er zunächst gesunde Probanden in einen Magnetresonanztomografen (MRT) und vermaß deren "Belohnungssystem" - ein Verband von Nervenzellen, der sich von tief liegenden subkortikalen Hirnstrukturen zum Orbitofrontalen Kortex direkt über den Augen zieht. Vorab gab er ihnen einen Persönlichkeitsfragebogen, aus dem er ihre 'social reward dependence' berechnete - also die Tendenz, soziale Situationen aufzusuchen, die Fähigkeit, diese Situationen zu genießen und eine gewisse (positive, gesunde) Abhängigkeit vom Austausch mit anderen Menschen.
Das Ergebnis: Geselligere Menschen besaßen zum einen mehr Neuronen im Ventralen Striatum, von wo aus glücksstimulierende Botenstoffe gesendet werden. Zum anderen war die Neuronendichte auch im Orbitofrontalen Kortex bei den Kontaktfreudigen höher. Diese Unterschiede bestanden also bereits bei Gesunden, die sich einzig und allein in ihrer Kontaktfreudigkeit unterschieden. Ein weiteres Indiz dafür, dass soziale Interaktion und Kommunikation in einem engen Zusammenhang mit dem Empfinden von Glück stehen.
Murray ist allerdings vorsichtig bei der Interpretation seiner Ergebnisse. Er sieht vor allem zwei mögliche Schlussfolgerungen: Zum einen, dass Kontaktfreudigkeit und Interaktion das Belohnungssystem stärken und somit auf lange Zeit die Grundlage für eine Tendenz zum Glücklichsein schaffen. Zum anderen, dass gesellige und kontaktfreudige Menschen von Haus aus über ein weiter entwickeltes Belohnungssystem verfügen - dass es also eine Disposition zum Glück gibt.
Die Mehrzahl der existierenden psychologischen Untersuchungen spricht für die erste Hypothese. Allerdings kann die Zerstörung von Neuronen oder die Störung des Gleichgewichts von Botenstoffen im Gehirn - wie es zum Beispiel bei Depression oder Schizophrenie vorkommt - auf lange Sicht auch unser Belohnungssystem 'verkümmern' lassen.
Vermutlich sind beide Annahmen wahr. Um die Frage zu klären, sind letztlich wohl Langzeitstudien erforderlich. Und doch wird wieder einmal klar: Kommunikation und soziale Interaktion sind wichtige Schlüssel zum Glück.
gepostet i.A. von Dr. Stephan Lermer
Quelle: Murray, GK et al. (2009). The Brain Structural Disposition to Social Interaction. European Journal of Neuroscience, published online 20 May 2009
Dienstag, 19. Mai 2009
Der Soundtrack des Gehirns
Beinahe jeder Mensch liebt Musik. Welche Art von Musik wir wann mögen, hängt dabei wesentlich von unserer Stimmung ab. Andererseits ist es auch erwiesen, dass Musik Stimmungen induzieren kann: Bei ruhiger Musik entspannen wir, bei einem Allegro werden wir aktiv. Mittels EEG (Elektroenzephalogramm), mit dem Gehirnströme quasi in 'Echtzeit' gemessen werden, kann man seit einigen Jahren diese stimmungsinduzierende Wirkung auch neurophysiologisch nachweisen: Die Wellenmuster des Gehirns verändern sich unter dem Einfluss von Musik!
Wissenschaftler vom Science & Technology Directorate des US-Department of Homeland Security gehen nun noch einen Schritt weiter und behaupten: 'Jedes Gehirn hat seinen eigenen Soundtrack.' Tempo und Melodie variieren dabei in Abhängigkeit der Stimmung, der Tätigkeit und dem Aufbau des Gehirns selbst.
Das Erstaunliche: Diesen Soundtrack kann man in bestimmten Stimmungen aufzeichnen, in musikalische Signale übersetzen und wieder abspielen, um damit wiederum die gleichen Stimmungen zu induzieren: Das entstandene Biofeedback könnte zum Beispiel in naher Zukunft bei der Therapie von depressiven Erkrankungen genutzt werden. Oder man könnte den optimalen 'Alarm-Soundtrack' eines Feuerwehrmannes aufnehmen und ihn in entsprechenden Krisensituationen wieder abspielen (falls er ihn dann noch braucht).
Darüber hinaus hat jedes Gehirn einen Ruhe-Track, der bei völliger Entspannung entsteht und laut den Wissenschaftlern zur Entspannungsinduktion genutzt werden kann.
Ein Beispiel für eine solche "Gehirnkomposition" finden Sie unter folgendem Link:
Hörprobe Brainmusic Active
Der große Nutzen von Musik scheint also tatsächlich darin zu bestehen, uns in Stimmungen und Zustände zu versetzen, die optimales Verhalten bewirken. Evolutionäre Psychologen vermuten, dass sich die Liebe zur Musik gleichzeitig mit der Sprache entwickelte, weil beide in etwa dieselben Hirnregionen beanspruchen.
So gesehen wäre die Evolution der Musik ein Nebenprodukt der für die menschliche Spezies so wichtigen Sprachentwicklung. Womit auch die Frage nach der schönsten Nebensache der Welt endgültig geklärt wäre.
gepostet i.A. von Dr. Stephan Lermer
Quelle: http://hsdailywire.com/single.php?id=7859
Dienstag, 12. Mai 2009
Produktive Tagträume
Einen Beleg dafür, dass sich die Dinge ganz anders verhalten, liefert jetzt eine Untersuchung der University of Columbia. Studenten sollten dort langweilige Routineaufgaben bearbeiten, während ihre Hirnaktivität im Kernspintomographen überwacht wurde. Gleichzeitig wurde ihr Aufmerksamkeitsniveau gemessen, so dass Perioden von konzentrierter Aufgabenfokussierung und gelangweilten Gedankenschweifens voneinander abgegrenzt werden konnten.
Aufgabenfokussiertes Problemlösen und gelangweiltes Bearbeiten von Routineaufgaben beanspruchen unterschiedliche Netzwerke von Nervenzellen im Gehirn. So kann man ein "exekutives Netzwerk", das für aktive Problemlöseprozesse verantwortlich ist, unterscheiden von einem "default Netzwerk", das bei Routineaufgaben eine Art gleichmäßige Überwachungsaufgabe übernimmt.
Die Forscher um Prof. Kalina Christoff fanden nun Erstaunliches: Gerade wenn ihre studentischen Versuchspersonen ihre Aufmerksamkeit von der langweiligen Routineaufgabe abzogen und anfingen, ihre "Gedanken wandern zu lassen", wurde das exekutive Netzwerk - zusätzlich - zum Routine-Netzwerk aktiv.
Diese gleichzeitige Aktivierung der beiden Netzwerke wurde bisher ausschließlich beim Tagträumen beobachtet. Faszinierend ist dabei auch, dass während der Tagträume gerade das Netzwerk für komplexes Problemlösen aktiv wird. Prof. Christoff fasst das erstaunliche Ergebnis zusammen: "Die Studie zeigt, dass unsere Gehirne beim Tagträumen viel aktiver sind, als wenn wir uns auf die Routineaufgaben selbst konzentrieren."
Offensichtlich lösen wir also also beim Tagträumen dringendere Probleme als die unmittelbar vorliegenden täglichen Routineaufgaben - möglicher Weise auch unbewusst. Prof. Christoff: "Beim Tagträumen erreichen Sie vielleicht nicht ihr unmittelbar vorliegendes Ziel - zum Beispiel ein Buch lesen oder im Unterricht aufpassen - aber es kann sein, dass Ihr Gehirn sich diese Zeit nimmt, um sich mit wichtigeren und weitaus komplexeren Fragen zu beschäftigen, wie mit persönlichen Beziehungen oder der eigenen Karriereplanung."
Die Untersuchung liefert auch einen Hinweis darauf, warum die besten Ideen und Entscheidungen gerade in den Momenten entstehen, wenn scheinbar "über nichts besonderes nachgedacht" wird (wir berichteten im Blog-Beitrag vom 6.5.09).
gepostet i.A. von Dr. Stephan Lermer
Quelle: Christoff, K. et al. (2009). Experience sampling during fMRI reveals default network and executive system contributions to mind wandering. PNAS published online before print May 11, 2009, doi:10.1073/pnas.0900234106
Dienstag, 28. April 2009
Stress löst Gehirnstrukturen auf
Unter langandauerndem Stress zeigen wir oft hilfloses Verhalten, Resignation macht sich breit. Dieses Verhalten ist nicht nur Nährboden für psychische Beeinträchtigungen wie Depression, Burn-out oder Agoraphobie. Es spiegelt sich auch im Zerfall von Synapsen (Verbindungen zwischen Nervenzellen im Gehirn) im Hippocampus wider - einer Hirnstruktur, die für Erinnern und emotionale Verarbeitung mitverantwortlich ist.
"Der Synapsenverlust ist wahrscheinlich die Ursache für die rapide Verschlechterung der Stimmung bei depressiven Patienten" behauptet Tibor Hajszan aus der Forschergruppe der Yale School of Medicine. Zusammen mit seinen Kollegen sucht er nach Medikamenten, die diese Synapsen kurzfristig wieder aufbauen, um eine Behandlung von Depression und Burn-out zu ermöglichen.
Für langfristigen Aufbau und Erhalt von Synapsen ist vor allem Aktivität förderlich. Psychotherapeuten tragen dem in vielen Behandlungsansätzen Rechnung, beispielsweise in der Verhaltenstherapie. Aber auch präventiv kann eine Menge getan werden, um Resignation, hilfloses Verhalten und damit assoziierte organische Gehirnveränderungen zu vermeiden:
Bewegung,
gesunde Ernährung und vor allem
sinnvolle Aktivitäten
sind interessanter Weise also auch wichtige Grundlagen auch psychischer Gesundheit.
gepostet i.A. von Dr. Stephan Lermer
Quelle: Hajszan, T. et al. (2009). Remodeling of Hippocampal Spine Synapses in the Rat Learned Helplessness Model of Depression. Biological Psychiatry, 65 (5), 392-400
Freitag, 3. April 2009
Neurophysiologische Belege für die Haltbarkeit romantischer Liebe
An ihrem 18. Hochzeitstag fragen gute Bekannte ganz unromantisch und ein bisschen provokativ: "Wie ist das eigentlich mit der romantischen Liebe? Kann man nach so langer Zeit noch 'verliebt' sein?" - "Also wir schon" entgegnet Er. Und Sie ergänzt etwas ausführlicher: "Ja, wenn ich ihn sehe, wird es mir immer noch ab und zu heiß und warm ums Herz - eigentlich wie am Anfang."
Doch die Skepsis bleibt, bis zur Studie der Forscherinnen Bianca Acedvedo und Virginia Saddock von der State University of New York:
Sie fanden einen neurophysiologischen Beleg für die Haltbarkeit von Liebe und Verliebtsein, indem sie die Hirnaktivität von frisch verliebten und zwanzig Jahre verheirateten Personen aufzeichneten, während sie Bilder von ihren Partnern betrachteten.
Aus früheren Forschungen mit frisch verheirateten Paaren weiß man, dass das Ventrale Tegmentum, eine Region im Mittelhirn, für Verliebtsein und leidenschaftliche Zuneigung verantwortlich ist. Genau diese Region wurde in der Studie von Acedvedo und Sadock aktiv, als die Probanden ihre Partner sahen. Und zwar sowohl bei den frisch Verliebten, als auch bei den länger Verliebten.
Unterschiede gab es jedoch auch: Bei den frisch Verliebten waren zusätzlich Regionen aktiver, die mit Obsession und Angst verbunden sind. Bei den länger verliebten Paaren zeigten solche Areale eine höhere Aktivität, die mit Wohlbefinden assoziiert sind.
Eine längerfristige erfüllte Partnerschaft ist also dafür verantwortlich, dass wir uns zugehörig, aufgehoben, einfach gut fühlen. Diese Gefühle übertragen sich auf beinahe jeden Lebensbereich. Dr. Acedvedo ist der Überzeugung: 'Eine erfüllte Partnerschaft hat positive Auswirkungen auf die Gesundheit.'
Ihre Kollegin Dr. Saddock ergänzt: 'Romantische Liebe in längerfristigen Partnerschaften gibt es definitiv. Aber sie setzt Beziehungsarbeit voraus.' Weiter meint sie: Das Wohlbefinden, das aus einer erfüllten Partnerschaft erwächst, muss deshalb nicht jeden Tag neu erfunden werden. Es ist eigentlich immer vorhanden: 'Selbst wenn die Anfangseuphorie vorbei ist, bleibt die Freude und der Genuss, zu lieben.' Sofern die Partnerschaft gepflegt wird.
gepostet i.A. von Dr. Stephan Lermer
Bianca Acevedo, Ph.D., postdoctoral researcher, University of California, Santa Barbara; Virginia Sadock, M.D., professor, psychiatry, and director, program in human sexuality and sex therapy, New York University Langone Medical Center, New York City; March 2009, Review in General Psychology
Montag, 9. März 2009
Stimmt das mit dem Erwerb kommunikativer Kompetenzen durch Gesten? JA, sagt die Neurobiologie.
Von neuronaler Platizität, Sensitiven Phasen und Spiegelneuronen
Bereits vor dem Tag unserer Geburt sind wir fähig zu kommunizieren. Wir treten in Interaktion mit unserer Umwelt, ganz gleich was wir tun.
a) Bereits vor der Geburt und in den ersten Lebensmonaten ist zunächst die rechte Gehirnhälfte für die Sprachentwicklung wichtig. Der Säugling lernt, sich in seiner kommunikativen Umwelt zu orientieren. Er sucht aktiv Orientierung an Kommunikationssignalen insbesondere der Mutter und reagiert auf Gefühlsaüßerungen. Er beginnt, selbst Lautäußerungen zu koordinieren. Zeigen Sie in dieser Phase Ihre Gefühle, suchen Sie Körperkontakt, schauen Sie das Kind an und geben Sie eindeutig verständliche Rückmeldungen.
b) Bis zum 20. Monat wird der Wortschatz vergrößert. Hier werden vor allem die ungeheuer vielen synaptischen Verbindungen, die in dieser Zeit entstehen genutzt, um Wörter, Gesten und Mimik zu lernen und sinnvoll zu verbinden. Reden Sie in dieser Zeit viel mit dem Kind und gehen Sie auf das Wissen ein, das es bereits besitzt. Das Kind kann so neues Wissen mit altem Verknüpfen. Es lernt, neue Begriffe sinnvoll einzubinden.
c) Vom 20.-25. Monat bis zum Alter von 3 Jahren lernt das Kind unbewusst, die grammatische Struktur der Muttersprache zu entschlüsseln. Achten Sie darauf, dass Sie selbst Grammatik und Wortwahl konsistent und korrekt benutzen.
3. Spiegelneuronen: In nahezu allen Gehirnregionen fanden Forscher in den letzten Jahren Nervenzellen, die ein faszinierendes Verhalten zeigen: sie reagieren nicht nur auf eigene Aktivitäten, sondern auch auf Dinge, die andere Menschen tun und sagen. Man nimmt an, dass diese Neuronen dafür verantwortlich sind, dass Kinder ein eigenes Bewusstsein erhalten. Und dass Kinder auf Grund dieser Zellen fähig sind, durch Nachahmung zu lernen. Die meisten dieser Zellen wurden bislang unterhalb des so genannte prämotorischen Areals, das für Handlungsplanung und –steuerung zuständig ist, entdeckt. Und zwar innerhalb einer Hirnregion, die für das Sprechen zuständig ist. Die wichtigste Aufgabe der Spiegelneuronen könnte demnach sein, Kommunikation zu lernen und zu üben. Besonders in den ersten Lebensjahren bilden die Spiegelneuronen viele synaptische Verbindungen aus. Die Spiegelzellen sind ein Beleg dafür, dass Kleinkinder vieles durch Beobachtung ihrer Bezugspersonen lernen.
Seien Sie also ein gutes Vorbild: Kommunizieren Sie deutlich und kommunizieren Sie ehrlich. Zeigen Sie Ihrem Kind, wie es erfolgreiche Kommunikation lernen und anwenden kann. Nutzen Sie Ihr Wissen um Ihre eigene kommunikative Kompetenz und geben Sie es Ihren Kindern weiter.
Bates, E. (1999). Plasticity, Localization and Language Development. In: Broman, S., and Fletcher, J. (1999). The Changing Nervous System.
John L. Locke (1993). The Child's Path to Spoken Language. Harvard U Press